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Wie so was Passieren kann ...

- Schreiben eines Kapitäns an seine Reederei  -

(Übersetzt aus dem Englischen zur Verfügung gestellt von Sk. Kapitän K.-H. Gräber)

Sehr geehrte Herren,

 mit Bedauern und in Eile, schreibe ich Ihnen diesen Brief.. Mit Bedauern deswegen, weil ein kleines Missverständnis
zu den im folgenden aufgeführten Umständen führte,  und in Eile, um sicherzustellen, dass Sie diesen Bericht noch vor dem Zeitpunkt erhalten, an dem Sie sich Ihre eigene vorgefasste Meinung über die Angelegenheit aus den Berichten der Weltpresse, von der ich sicher bin, dass sie dazu neigt, die Affäre zu überdramatisieren, bilden werden.

Wir hatten gerade eben den Lotsen aufgenommen, und der nautische Assistent war gerade. vom Austauschen der Flagge G durch die Flagge II zurückgekehrt. Es war seine erste Reise und er hatte daher Schwierigkeiten die Flagge G aufzurollen. Ich entschloss mich daher ihm zu zeigen wie man das macht. Und als ich zum letzten Teil gekommen war, sagte ich ihm: "lass fallen".   Der Bursche, obwohl  willig, ist nicht allzu Intelligen t, und es daher nötig, dass ich meine Anweisung in einem schärferen Ton  wiederholte.

In diesem Moment erschien der erste Offizier aus dem Kartenraum in dem er des Schiffes Durchschnittsgeschwindigkeit errechnet hatte, und dachte, dass sich diese Anweisung auf die Anker bezog, und wiederholte dem dritten Offizier auf der Back gegenüber: "lass fallen". Der Backbordanker, der klar gemacht worden, aber noch nicht aus der Klüse gefiert war, wurde promptfallengelassen. Die Wirkung des fallenden Ankers aus der Klüse, während sich das Schiff noch mit voller Hafengeschwindigkeit bewegte, war zu groß für die Ankerpillbremse, und die gesamte Länge der Backbordankerkette wurde komplett herausgerissen. Ich befürchte, dass der Schaden am Kettenkasten nicht unbeträchtlich sein könnte. Der Bremseffekt des Backbordankers ließ das Schiff in die Richtung ausscheren, geradewegs in Richtung der Klappbrücke, die als Seitenbegrenzung des Flusses, auf dem wir uns vorwärts bewegten, anzusehen ist.

Der Brückenwärter zeigte eine große Geistesgegenwart, indem  er augenblicklich die Brücke für mein Schiff öffnete. Unglücklicherweise dachte er allerdings nicht daran, den Straßenverkehr vorher anzuhalten. Das Resultat war, dass die Brücke teilweise geöffnet war und ein Volkswagen, zwei Fahrradfahrer und ein Viehtransporter auf dem Vorschiff landeten.

Meine Schiffsbesatzung sammelt im Augenblick den lnhalt des letztgenannten zusammen, von dem ich, nach dem Geräusch zu schließen, sagen würde, dass es Schweine waren. In seinem Bemühen, die Vorwärtsbewegung des Schiffes aufzuhalten, ließ der 1. Offizier den Steuerbordanker fallen. Viel zu spät, um noch wirksam zu werden, da dieser direkt auf den Kontrollraum des Brückenwärters fiel.

Nachdem der Backbordanker gefallen war und das Schiff andrehte, legte ich den Maschinentelegraphen zweimal auf volle Kraft zurück, persönlich rief ich den Maschinenraum an und gab die Abweisung auf volle Rückwartsumdrehungen. Ich wurde von dort darüber informiert, dass die Wassertemperatur 11,5 Grad betrüge, und gleichzeitig gefragt, ob abends ein Film gezeigt werden würde. Meine Antwort hierauf würde kein konstruktiver Beitrag zu diesem Bericht sein.

Bis jetzt habe ich meinem Bericht auf die Aktivitäten auf dem Vorschiff meines Schiffes beschränkt. Achtern hatte man seine eigenen Probleme. In dem Augenblick, als der Backbordanker fallengelassen wurde, beaufsichtigte der 2. Offizier das Festmachen des Achterschleppers, auf den gerade die Festmacherleine gefiert wurde.

Der plötzliche Bremseffekt das Backbordankers ließ den Schlepper unter das Heck meines Schiffes laufen, gerade in dem Augenblick, als die Schraube auf meine Anweisung "volle Kraft, zurück" reagierte. Das blitzartige Belegen der Schleppleine durch den 2. Offizier verzögerte den Untergang des Schleppers für einige Minuten, die eine sichere Abbergung der Mannschaft des Schlepper» ermöglichten.

Es ist eigenartig, aber im selben Augenblick, als der Backbordanker fallengelassen wurde, gab es an Land einen Kurzschluss. Dia Tatsache, dass wir gerade über ein Kabelgebiet fuhren, lässt mich vermuten, dass wir irgend etwas auf dem Flussbett berührt, haben könnten. Glücklicherweise waren die Hochspannungskabel, die durch den Vormast heruntergeholt wurden, nicht aktiv. Möglicherweise sind sie gerade durch das Unterwasserkabel ersetzt worden. Da es an Land stockdunkel war, ist es mir unmöglich, Ihnen zu sagen, wohin der Hochspannungsmast gefallen ist.

Die Reaktionen und das Betragen von Fremden in den Augenblicken von kleinen Krisen erstaunen mich doch immer wieder. Der Lotse hat sich z.B. in der Ecke meiner Tageskabine verkrochen, summt gelegentlich vor sich hin und heult, nachdem er eine Flasche Gin geleert hat in einer Zeit die es Wert wäre in dpa GUINNESS-Buch der Rekorde eingetragen zu werden. Der Schlepperkapitän reagierte auf der anderen Seite gewalttätig und musste vom Steward mit Macht zurückgehalten werden, indem er ihm Handschellen anlegte und in das Schiffshospital beförderte, wo er mir und meinem Schiff die unmöglichsten Dinge androhte.

Ich füge diesem Schreiben die Namen und Adressen der Fahrer und der Versicherungsgesellschaften der Fahrzeuge auf meinem Vorschiff bei, welche der 3. Offizier eingesammelt hatte. Diese Unterlagen werden es Ihnen ermöglichen, den Schaden, den sie an den Relingesstützen und der Luke eins anrichteten, zu reklamieren.

Ich beende nun diesen vorläufigen Bericht, da es mir schwerfällt, mich bei dem Heulen der Sirenen und den Blaulichtern der Polizeiwagen zu konzentrieren.

Es ist wirklich traurig, wenn man bedenkt, dass, hätte der nautische Qffizierassistent bemerkt, dass man nach Anbruch der Dunkelheit keine Lotsenflagge mehr zu setzen braucht, nichts von allem passiert wäre.

Dem wöchentlichen Rechenschaftsbericht werde ich die Verletztenzahl von T/750101 bis T/750199 ausführlich beifügen.

Mit Ergebenheit

Master

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aktualisiert am: 11.12.18

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