Wie ich auf das TS „Hamburg“ kam…
von Heiner F. Gstaltmayr
(Druckerei, TS Hamburg)
Es war etwa im Sommer 1971.
Ich war um die 17 Jahre jung und stand kurz vor dem Abschluss
meiner kombinierten Lehre als Buchdrucker und Schriftsetzer
(damals gab es das noch, der Fachbegriff dafür lautete
„Schweizerdegen“). Meine Ausbildung absolvierte ich in einer
kleinen Druckerei in Lindau am Bodensee.
In unserer Druckerei gab es
fast nur „Heidelberger Druckmaschinen“, und etwa alle
Vierteljahre kam ein bunt bebildertes kostenloses Heft mit dem
Titel „Der Heidelberger“ dieses Druckmaschinenherstellers,
in dem unter anderen Geschichten über die vielseitige
Verwendbarkeit der Maschinen zu lesen waren.
Eine kurze Geschichte erregte
meine Aufmerksamkeit, sie stand auf der Rückseite eines dieser
Hefte. Die Überschrift, ich entsinne mich noch genau, lautete
„Auch auf dem ‚TS Hamburg‘ läuft ein „Heidelberger
Tiegel“ täglich zur vollen Zufriedenheit.
Hmm, dachte ich mir, wenn dort
auf dem Schiff eine solche Druckmaschine steht, dann brauchen
die doch sicher auch einen ausgebildeten Drucker. Doch an wen
sollte ich mich wenden? Den Namen der Reederei wusste ich zunächst
nicht, über den Umweg eines Briefes an den ‚Verband Deutscher
Reeder‘ in Hamburg kam ich jedoch an Adresse und Telefonnummer
der ‚Deutschen Atlantik Linie‘ am Ballindamm in Hamburg.
Dort bewarb ich mich zunächst telefonisch, dann schriftlich –
und wurde auf eine Liste gesetzt, die für den Fall, dass eine
Stelle frei würde, geführt wurde.
Ein paar Monate gingen ins
Land, mittlerweile hatte ich meine Gesellenprüfung bestanden,
es war jetzt Anfang 1972. Jetzt wollte ich etwas anderes
kennenlernen, einen anderen Betrieb. Vor allem irgendwie weg.
Ich erinnerte mich an meine Bewerbung in Hamburg und fragte
telefonisch nach. Dort wurde ich erneut vertröstet, zurzeit sei
keine Stelle frei.
Eines Tages, ich kam wie immer
zum Mittagessen nach Hause, lag ein Telegramm auf dem Tisch. Ich
möge doch bitte umgehend in Hamburg bei der DAL anrufen.
Seltsam: 34 Jahre danach erinnere ich mich noch heute an die
Telefonnummer, sie hat sich in mein Gedächtnis regelrecht
eingebrannt: Nullviereineins, dreinullnullneunzweisechsfünf…
Nach der Mittagspause wieder
im Betrieb rief ich in Hamburg an, ich entsinne mich auch noch,
dass der halbe Betrieb um mich herumstand und das Gespräch
verfolgte. Ob ich denn kurzfristig verfügbar sei und auf die
‚Hamburg‘ einsteigen könne, einer der beiden Drucker habe
plötzlich gekündigt. Kurze
Rücksprache mit dem Chef, dann die Zustimmung. „Okay…“
sagte man mir am anderen Ende der Leitung. „Dann geht am
soundsovielten März Ihr Flugzeug nach San Francisco…!“ Das
genaue Datum weiß ich nicht mehr; an den Flug von New York an
die Westküste der USA erinnere ich mich jedoch heute noch wegen
der verrückten Turbulenzen, bei denen mein Magen rebellierte.
Zuvor sollte ich aber nach
Hamburg kommen. Zum einen, um nach einer medizinischen
Untersuchung das vorgeschriebene Seefahrts-Tauglichkeitszeugnis
für die „Große Fahrt“ zu erhalten, zum anderen sollte ich
eine ganz bestimmte Setzmaschine, die schon damals etwas aus der
Mode gekommen war, kennenlernen. Das geschah in einer kleinen
Druckerei in Hamburg.
Meine Mutter begleitete mich
nach Hamburg und lieferte mich am Flughafen ab, es war eine tränenreiche
Verabschiedung. Von dort ging es über New York nach San
Francisco, wo die ‚Hamburg‘ lag und ein Besatzungswechsel
vorgesehen war. Meine
erste Reise führte von dort über Acapulco/Mexiko (Erinnerung:
Köstliches Seafood irgendwo außerhalb in einem kleinen
Fischrestaurant direkt am Strand…) durch den Panamakanal in
die Karibik. Später dann kamen die Kreuzfahrten nach Kanada,
nach Nordeuropa und ins Mittelmeer. Leider endete meine
Kreuzfahrtzeit recht schnell, denn damals war das Ende der DAL
irgendwie schon absehbar.
Es gab in meiner Zeit
zahlreiche Erlebnisse, an die ich mich noch heute erinnere, zum
Beispiel an das Ende meiner „Jungfräulichkeit“ in Cristobal
am Panamakanal. Wenn ich mich richtig besinne, waren es der
Bademeister (Name bekannt!) und ein paar andere, die mich in ein
gewisses Etablissement mitnahmen. Acht Dollar mit Zimmer und
Handtuch lautete damals der Tarif… Oder auch daran, dass wir
nach einem Landausflug auf Bermuda beinahe achtern
„rausgesegelt“ wären, weil unser Taxi einen Motorschaden
hatte.
An eine Anekdote erinnere ich
mich jedoch ganz besonders. Als in der Seefahrt völlig
unerfahrene Landratte dachte ich mir am ersten Abend auf dem
Schiff, ich müsse mich nach dem Anheuern ja irgendwo
vorstellen. Von der Existenz eines Oberzahlmeisters, der für
den Hotelbetrieb zuständig war, wusste ich am ersten Tag auf
dem Schiff noch nichts. Also beschloss ich, mich beim Kapitän
als der neue 2. Drucker vorzustellen, und ich machte mich kurz
nach dem Ablegen in San Francisco auf den Weg zur Brücke. Dort
beging ich gleich meinen ersten Fauxpas, einer, der mich danach
noch mehrmals verfolgen sollte: Ich kam nämlich nicht nur
dieses eine Mal „auf Luv“ auf die Brücke, was bewirkte,
dass der Fahrtwind, der durch die unvorsichtigerweise von mir geöffnete
Schiebetüre pfiff, die Seekarten auf dem Kartentisch etwas
durcheinanderwirbelte.
Ich glaube, es war Kapitän
Bender, der während dieser Reisen das Schiff führte (oder war
es Kapitän Lohmeier?) Nachdem ich mich kurz vorgestellt hatte
– wir fuhren gerade unter der Golden Gate Bridge durch –
fragte er mich jovial: „Na, schon mal zur See gefahren,
junger, Mann?“ Ich überlegte kurz und sagte einfach Ja.
Worauf er „Wo denn…?“ wissen wollte. Im Brustton der Überzeugung
sagte ich: „Auf dem Bodensee…!“ Man kann sich gut
vorstellen, welches Gelächter ich für diese Antwort kassierte.
Nicht zu vergessen der Spott, der mich von da an begleitete. Ich
hatte es mit einer einzigen unbekümmerten Antwort ziemlich
schnell zu einem ziemlich hohen Bekanntheitsgrad auf dem Schiff
gebracht.
Es ist schon seltsam, aber
auch nach so vielen Jahren erinnere ich mich noch immer mit
Wehmut an die herrliche Zeit auf der „Hamburg“. Ich habe die
Lebensgeschichte dieses wunderbaren Kreuzfahrtschiffs bis zum
bitteren Ende verfolgt, und ich kann es der Stadtregierung von
Hamburg bis heute nicht verzeihen, dass sie dieses Schiff nicht
vor dem Abwracken rettete. Und als die „schöne Hamburgerin“
dann ja bekanntlich eine kurze Zeit lang „TS Hanseatic“ hieß,
fuhr ich zur (höchst unfeierlichen) Umbenennung mit dem Zug von
München nach Genua. Von diesem Ereignis, das ohne große
Zeremonie im Morgengrauen stattfand, müsste ich irgendwo noch
ein paar Bilder haben.
Einige Monate später kam dann
das Ende der DAL, das Schiff wurde von den Russen übernommen,
bei denen ich mich mehrmals als Bordbuchdrucker bewarb. Ohne
Erfolg, leider. Einige Jahre später habe ich dann als Passagier
eine ganz normale Kreuzfahrt durch den Westatlantik gemacht.
Eine Reise auf einem dieser Riesenpötte, auf denen heute
Tausende anonymer Passagiere über die Weltmeere geschippert
werden, hab ich mir bisher versagt – und werde eine solche
ziemlich sicher auch in Zukunft nicht machen.
Was bleibt, ist die
Erinnerung. Und vielleicht hat die Tatsache, dass ich schon als
junger Mann die Welt entdeckte, dazu beigetragen, dass ich heute
auf der Schwäbischen Alb lebe und nunmehr schon seit fast 25
Jahren nach einer journalistischen Ausbildung als
freiberuflicher Reisejournalist und Buchautor tätig bin. Was
ich damals während der maximal zweitägigen Liegezeiten in den
Häfen gesehen hatte, wollte ich später während längerer
Reisen näher kennenlernen. Das habe ich dann auch geschafft…
Ein Kontakt hat sich über die
vielen Jahre hinweg erhalten, auch wenn er sich auf ein oder
zwei Telefongespräche im Jahr beschränkt. Er besteht zum
damaligen Bordfotografen Jürgen Engelmann, der heute im Großraum
München als bekannter und renommierter Modefotograf tätig ist.